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Beitrag vom 19.02.2010
OECD-Studie veröffentlicht - Absicherung von Arbeitslosen in Deutschland kaum über internationalem Durchschnitt
AVIVA-Redaktion
In einer internationalen Vergleichsstudie hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) untersucht, wie gut Arbeitslose in den einzelnen Ländern abgesichert sind.
Die Studie macht deutlich, dass die hohen Sozialabgaben für GeringverdienerInnen in Deutschland ein Hindernis für die Aufnahme einer Beschäftigung darstellen. Zwar ist die finanzielle Absicherung von Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren oder über längere Zeit arbeitslos sind, in Deutschland im Vergleich zu den anderen OECD-Ländern durchschnittlich. Im europäischen Vergleich ist sie jedoch eher gering.
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass Alleinerziehende und Familien mit Kindern in Deutschland besser gestellt sind als Haushalte ohne Kinder. Gleichzeitig bietet das deutsche Transfersystem Haushalten mit Kindern nur wenig finanzielle Anreize, um eine gering bezahlte, aber existenzsichernde Beschäftigung aufzunehmen. Dies geht aus aktuellen Vergleichsdaten der OECD zur Absicherung von Arbeitslosen hervor, die am 18. Februar 2010 in Berlin vorgestellt wurden.
So erhält in Deutschland ein/e alleinstehende/r DurchschnittsverdienerIn direkt nach Verlust des Arbeitsplatzes 60 Prozent des Nettolohns aus Transfers ersetzt. Deutschland rangiert damit leicht über dem OECD-Schnitt. Den höchsten Lohnersatz erhält ein Single mit Durchschnittsverdienst in Luxemburg, Portugal, den Niederlanden und der Schweiz. Auch bei Alleinerziehenden und Familien mit zuvor nur einem/einer Erwerbstätigen liegt der Lohnersatz mit 70 Prozent bzw. 72 Prozent des letzten Nettoeinkommens (einschließlich Kindergeld) leicht über dem OECD-Schnitt.
Anders die Situation für GeringverdienerInnen: Hier liegt der deutsche Lohnersatz von ebenfalls 60 Prozent im unteren Drittel der OECD-Länder. GeringverdienerInnen mit Kindern, die ihren Arbeitsplatz verlieren, sind dagegen im OECD-Vergleich immerhin durchschnittlich abgesichert. Vergleichsweise gut ist die Absicherung bei Paaren, wenn der andere Partner/die andere Partnerin noch arbeitet, da anders als in einigen anderen Ländern der Verdienst des Partners/der Partnerin nicht auf das Arbeitslosengeld (ALG I) angerechnet wird.
Auch bei Langzeitarbeitslosen sind in Deutschland Singles oder kinderlose Paare im internationalen Vergleich schlechter gestellt als Alleinerziehende oder Familien mit Kindern. Ein/e alleinstehende/r DurchschnittsverdienerIn erhält so nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit 36 Prozent der damaligen Netto-Bezüge als Transfers. Deutschland steht damit auf Platz 14 unter den 29 OECD-Ländern, für die diese Daten vorliegen und nur knapp über dem OECD-Schnitt. Die höchsten Ersatzleistungen für Alleinstehende werden hier in den Niederlanden, Dänemark und Irland gezahlt.
Ein/e DurchschnittsverdienerIn mit zwei Kindern und nicht erwerbstätigem/r EhepartnerIn erhält in Deutschland nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit hingegen 63 Prozent ihres/seines ehemaligen Nettoeinkommens ersetzt. Das ist deutlich mehr als der OECD-Schnitt von 55 Prozent. Ein/e Alleinerziehende/r mit zwei Kindern erhält unter gleichen Umständen 61 Prozent des letzten Verdienstes, im OECD-Schnitt sind es 49 Prozent. Hier werden in den Niederlanden, Dänemark und Australien die höchsten Transfers gewährt.
Während die Transfers für kinderlose Langzeitarbeitslose und Mehrverdienerhaushalten im Zuge der Hartz-Reformen deutlich zurückgegangen sind, hat es in den vergangen Jahren für Alleinerziehende und erwerbslose Paare mit Kindern kaum Veränderungen bei den Lohnersatzraten gegeben. Trotzdem ist das Armutsrisiko dieser Gruppe bei Langzeitarbeitslosigkeit im internationalen Vergleich sehr hoch.
Auffällig ist, dass in Deutschland trotz der Hartz-Reformen Langzeitarbeitslose nach wie vor vergleichsweise wenig finanzielle Anreize haben, eine gering bezahlte, aber existenzsichernde Beschäftigung anzunehmen. So muss ein Alleinerziehender oder verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern Einkommen von mehr als 60 Prozent des Durchschnittslohns erzielen, ehe das Nettoeinkommen merklich über dem liegt, was ihm an Sozialtransfers zusteht. In dieser Rechnung sind die Kosten für Kinderbetreuung und die Schwierigkeiten, in Deutschland einen Betreuungsplatz zu erhalten noch nicht berücksichtigt. "Das sehr hohe Armutsrisiko der Alleinerziehenden in Deutschland ist vor allem die Folge einer ausgesprochen geringen Erwerbsbeteiligung", sagte OECD-Experte Herwig Immervoll bei der Präsentation der Studie.
Ein Grund dafür ist, dass Anreize zur Arbeitsaufnahme, etwa in Form von Freibeträgen im ALG II oder der Mini/Midijobs, vor allem auf geringfügige Beschäftigung konzentriert sind. Gleichzeitig unterliegen regulär beschäftigte Personen schon bei einem geringen Verdienst einer relativ hohen Steuer- und Abgabenbelastung. "Einige OECD-Länder schaffen es, eine relativ großzügige finanzielle Absicherung mit hohen finanziellen Anreizen zur Arbeitsaufnahme zu kombinieren", so Immervoll. So könnte in Deutschland eine zielgerichtete finanzielle Unterstützung für existenzsichernde Erwerbseinkommen, wie etwa in Irland, die Anreize zur Aufnahme von nicht-geringfügiger Beschäftigung verstärken.
Die OECD-Berechnungen zu Sozialtransfers und Gesamteinkommen bei Erwerbstätigkeit beruhen auf Angaben der zuständigen Ministerien in den Mitgliedsländern. Sie enthalten alle finanziellen Leistungen, die den jeweiligen Haushaltstypen zustehen. Dazu gehören Leistungen der Sozialhilfe sowie Leistungen für Kinder und Wohngeld. Wird Wohngeld bedarfsabhängig gezahlt, so wird ein standardisierter Betrag angenommen. Für Deutschland werden, soweit relevant, die Wohngeldhöchstbeträge im Land Berlin zugrunde gelegt.
Nicht in die Berechnungen einbezogen sind Sachleistungen und sonstige Vergünstigungen wie etwa subventionierte Fahrkarten im Nahverkehr oder ermäßigter Eintritt für Kultureinrichtungen, die häufig nur Arbeitslosen oder SozialhilfeempfängerInnen gewährt werden. Ebenfalls nicht einbezogen sind die Kosten für Kinderbetreuung und andere Aufwendungen, die vor allem im Rahmen einer Erwerbstätigkeit anfallen. Referenzwert für das Durchschnittseinkommen sind die Gehälter von VollzeitarbeitnehmerInnen in der Privatwirtschaft. Für Deutschland lag dieses Referenzeinkommen im Jahr 2008 bei 41.400 Euro brutto.
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.oecd.org/de/benefitsandwages